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Wir brauchen buntes statt Schwarz-Weiß-Denken

Burkhard Pranke
Wam Kat während seiner Rede am 3. Mai 2019
Wam Kat während seiner Rede am 3. Mai 2019

Es ist schon wieder einige Jahre her, dass ich in einer Stadtratsitzung unerwartet gefragt wurde, weshalb ich immer eine schwarze Mütze auf habe. In dem Moment war ich so überrascht, dass ich keine Antwort parat hatte. Jetzt, fast sechs Jahre später, nun die Erklärung.

Im Mai 1967 wurde ich von Verwandten eingeladen, die einige Jahre zuvor nach Israel emigriert waren. Mein ein Jahr älterer Cousin und ich waren Sandkastenfreunde und die Familie dachte, dass es eine schöne Gelegenheit wäre, einander mal wiederzusehen und gemeinsam unsere Bar Mizwa zu feiern. Gerade in Tel Aviv angekommen, kriegte ich meine erste Kippa, so eine kleine Mütze, die dazu gedacht ist das jüdische Männer sie nach ihrer Bar Mizwa tragen, so etwas wie die Jugendweihe oder Konformation für jüdische Jugendliche.

Diese erste echte Konfrontation mit meinen jüdischen Wurzeln wurde noch durch einen krieg verstärkt, der gleich einige Tage später über Israel losbrach - auch der Kibbuz auf Golan, wo ich logierte, wurde angegriffen von jordanischen Migs...

Zuhause wurde ich eher christlich erzogen, mit sehr freier evangelischer Prägung. Mein Großvater war evangelischer Pfarrer, aber ich kannte ihn nur aus Geschichten. Er wurde 1944 als verstorben gemeldet - in Buchenwald. Die Gestapo hatte herausgefunden, das sein Ur-Großvater Rabbi war. Aber was begreift mensch als Kind, dass dort, wo Dusterland liegt, Lager waren und dass fast alle meine Onkel und Tanten dort hingebracht wurden und der größte Teil nie zurückgekehrt war. Ich kannte sie nur aus Jugendgeschichten oder aus Geschichten derer, die zurückgekehrt waren. Aber die erzählten nur lustige Geschichten, so als ob sie dort in einem Ferienlager gewesen wären, mit Theater, Gesang, Musik und vielen Witzen. Ja ich lernte Dusterland auf andere Art kennen. Bergen-Belsen - Onkel Adri, Buchenwald - mein Opa, Ravensbrück – seine Frau, meine Oma, Dachau - zwei meiner Onkel und viel später kannte ich ihre Namen von Stolpersteinen, die auch in den Niederlanden verlegt wurden.

Der größte Witz in unsere Familie war immer, dass die Gestapo meinen Vater erst nicht haben wollte, weil sie nicht glauben konnten dass ein Jude den Namen Frederik Wilhelm Adolf trägt. Übrigens, die Nazis mit ihrer Rassenlehre hatten beschlossen, dass die Familie meines Vaters und meiner Mutter Juden waren. Ihnen selber war das damals überhaupt nicht bewußt. Mein Vater hat auch immer komische Geschichten erzählt über seine Zeit im Krieg. Wie er immer zu schnell für die Gestapo und ihre vielen niederländischen Helfer war, aber dass er am Ende auch in ein Versteck gehen musste, weil die Hälfte seiner Widerstandsgruppe schon verhaftet worden war.     Seine Rettung war damals auch, das er Pazifist war. Wenn er auf der Straße angesprochen wurde, ob er eine waffe gebrauchen könnte, antwortete er ganz ehrlich, dass er dafür keine Verwendung hätte. Die niederländischen Nazigeheimagenten waren so überrascht, dass sie ihn laufen ließen.
Später in Israel und nach dem Tod meines Vaters mit 53, damals war ich gerade mal 17, habe ich dann wesentlich mehr erfahren über die Camps und über das, was mein vater im krieg gemacht hat. Ich bin stolz auf meinen Vater, er war ein Widerstandsheld, aber das wichtigste was ich von ihm gelernt habe, hatte weniger mit Widerstand zu tun. Nach dem Krieg war alles, was aus dem Osten kam „aus Mofrika“, so wie Deutschland damals noch genannt wurde, dort wo die „Moffen“ wohnen. Moff ist niederlädisch für Muff, das was die Wehrmachtsoldaten dabei hatten. Erst unser niederländisches Schimpfwort für die Wehrmacht, später für alles was deutsch war.

Mein Vater reagierte immer allergisch wenn jemand das Schimpfwort benutzte oder über Deutsche schimpfte, er war der Meinung, dass es keinen Sinn hat, den Krieg weiter zu führen. Außerdem: Die Niederländer waren im Krieg viel effizienter im Verraten und Verschleppen von Menschen, die die Nazis nicht haben wollten. Unser schönes Niederlande, weltweit bekannt für die oft gelobte Toleranz, war diesbezüglich eines der schlimmsten Länder Europas. Wenn mein Vater das erzählte, war ich erst einmal sprachlos und voller Fragen. In der Schule hatte ich gelernt, dass wir, die Niederländer, die Guten waren. Und sie, die Deutschen, die Schlechten. Das war einfach. Aber jetzt erzählte mein vater, dass auch die Guten schlecht sein können und dass nicht alle Schlechten wirklich schlecht sind, es gibt auch Gute unter den schlechten. Zu vergessen auch der Traum von schwarz und weiß, was gut und was schlecht war. Es hatte nichts zu tun mit Nationalität, mit Rasse oder Hautfarbe und nichts mit Glauben und selbst nicht alle Männer oder alle Frauen waren gut oder schlecht. Okay, an den verschiedenen Grenzen Deutschlands gab es Zöllner, die alle Klischees von Moffen und Mofrika wieder lebendig machten und bei Umwelt- und Friedensaktionen in den 70gern und späten 80ger Jahren tat auch die Polizei ihr Bestes, aber andersherum waren unsere eigenen Zöllner und Polizisten auch nicht viel besser. Während der Friedens- und Anti-Atom-Aktionen wurde es deshalb Standard, die Polizei mit „Nazis raus“ zu begrüßen. Was eigentlich nicht korrekt ist, denn selbst wenn auch jetzt wieder einige Polizisten und Militärs deutlich Organisationen anhängen, die mit Demokratie und Toleranz kaum etwas zu tun haben, sind Nazis etwas anderes. Nazis waren die, die z.B. dieses Außenlager Röderhof des Frauen-KZ Ravensbrück gebaut und betrieben haben. Wo Menschen mit einer anderen Meinung, sexuellen oder sozialen Vorlieben, anderem Glauben oder anderer Farbe einfach fließbandmäßig ermordet wurden. In diesem Lager passierte das hauptsachlich durch schwere körperliche Arbeit, stundenlange Appelle in der Kälte, hier auf diesem Platz und am Ende durch einen Todesmarsch der letzten noch transportfähigen Frauen.
Bei den Nazis war klar, wer die Guten und wer die Schlechten waren und die Schlechten hatten kein Recht auf Leben. Die Welt aufzuteilen in die Guten und die Schlechten ist ein einfaches Weltbild. Wenn du zu den Guten gehörst, was meistens für die der Fall ist, die die Welt so einteilen, sind immer die anderen schuldig.

Es wird komplizierter, wenn Mensch so ein Schwarz-Weiß-Bild verwirft. Oder sich verirrt zwischen die Fronten von gut und böse. Sehr stark habe ich das in den letzten Balkankriegen erfahren, die ich vor Ort in Jugoslawien, später Kroatien, Bosnien und Serbien miterlebt habe. Zwischen den Fronten, zwischen Serben, Kroaten oder Bosniern, zwischen Katholiken, Orthodoxen und Muslimen... Da war ich ganz bewusst der Jude, einer von der Gruppe, die die faschistischen Schattenregierungen damals in den 40ern fast ausgerottet hatten. Kroatische Ustascha, serbische Chetniks und die albanische SSSkanderbeg-Brigade hatten etwas gegen alle, die nicht in ihre Gruppe passten. Und ja, die Juden und auch die Roma passten natürlich wieder überhaupt nicht dahin, obwohl sie dort schon seit Jahrhunderten wohnten und schon verschiedene Progromen überlebt hatte. Aber das war damals...

Als Jude war ich kein teil der neuen kriege. „Sorry, was unsere Väter, Brüder und Ehemänner gemacht haben mit deine Familie, mit deinem Volk, aber gerade du wirst begreifen, dass wir uns verteidigen mussten.“ Ich gehörte nicht zur breiten Front (war nicht westeuropäisch-christlich wie die katholischen Kroaten, oder osteuropäisch-christlich wie die orthodoxen Serben, oder Muslim wie die Bosnier), war irgendwie neutral. Deshalb wurde mir auf jeder der Seiten erklärt, dass sie die Guten waren und die andere Seite logischerweise die Schlechten.                   Sie erzählten mir uralte Geschichten die erklären würden, dass ihre Seite schon immer die guten waren und die andere Seite... schon immer die Schlechten. Und dann lief ich wieder über die Frontlinie und glaubt es oder nicht, dort erzählten sie mir dieselbe Geschichten, aber genau andersherum.

Und hinter der dritten Frontlinie erzählten sie, dass die anderen zwei immer wieder versuchten sie zu vernichten, aber sie seien doch nicht schuld dass ihre Ahnen damals Muslims geworden waren, weil das im osmanischen Reich einfach die vorteilhafteste Religion war. Ich würde der Wahrheit aber Gewalt antun, wenn ich nicht zugeben würde dass ich in Jugoslawien nicht auch andere, schönere Tage kannte. Über viele Jahre hatte ich Jugoslawien regelmässig besucht, als junger Freiwilliger in der Internationalen Arbeitsbrigade, als Vertreter der niederländischen Pazifistichen Sozialistischen Jugend ...                                                        

Ich kannte viele Jugoslawen, aus verschiedenen Republiken, und die waren doch auch miteinander befreundet und jetzt sollte es Spannungen zwischen ihnen geben? Schwer zu verstehen. Was war passiert mit dem Jugoslawien, welches ich kannte?
In diesem Multi-Kulti-Staat war auf einmal nichts mehr Multi, dafür um so mehr national Kulti. Keine serbische bohnensuppe mehr in dubrovnik aber dalmatische, kyrillisch statt latinica...    

Radio Beograd lieferte die selben Nachrichten wie Radio Zagreb, aber völlig umgekehrt und Yutel von TV Sarajevo versuchte zu zeigen, dass die anderen zwei nicht die Wahrheit sagten.           Und im damaligen Internet war der Krieg zwischen den Studenten schon voll entbrannt, hauptsächlich durch die in der Diaspora lebenden verschiedenen jugoslawischen Nationalitäten. Mehr oder weniger entstanden in einem Land drei Blasen, in denen den Menschen völlig unterschiedliche Nachrichten vorgesetzt wurden. Drei voneinander völlig abgekapselte Gruppen, die nebeneinander im selben Land lebten und trotzdem in völlig anderen Realtitäten.
Wenn mensch sagt, das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit - es ist noch viel schlimmer. Selbst die Wahrheit wußte am Ende nicht mehr was wahr war. Natürlich gab es auch dort Menschen die nicht mitmachen wollten. Aber die hatten es besonders schwer. Das war eine kleine Blase, die kramphaft versuchte miteinander in Kontakt zu bleiben, um nicht verrückt zu werden.

Zurück nach Bad Belzig, zum Grünen Grund. Nach dieser Geschichte heute erinnern wir uns hier, was passiert, wenn Nationalismus triumphiert, wenn mensch denkt meine Gruppe ist die gute und die andere die schlechte. Und jetzt würde ich fast sagen “ich bin stolz Jude zu sein in Deutschland" oder "ich bin stolz Freunde zu haben in Deutschland" oder "ich bin stolz Freunde in deutschland zu haben, die nicht in Deutschland geboren sind", denn irgendwie bin ich tatsächlich ganz froh über den langen Weg, den das Deutschland von damals, das dieses Lager einst gebaut hat, gegangen ist. Steinig und sicher nicht nach allen unseren Wünschen, aber bedenkt, dass die meisten von uns hier in so einem Lager gelandet wären, wenn wir damals gelebt hätten.
Und wir können richtig froh sein, dass wir hier heute freiwillig auf dem ehemaligen Appelplatz stehen und nicht gezwungen werden. Wir können selbst ein bisschen stolz darüber sein, weil es auch ein bisschen unsere Arbeit war. Natürlich ist das kein Stolz weil du zufällig irgendwo geboren bist. Wo diese Art von Stolz hinführt, wissen wir. Zum Nationalismus. Nationalismus führt auch ziemlich oft zum Krieg und zu Lagern wie diesem. Das ist keine leichtfertige Bemerkung von mir, darüber wurden Millionen Geschichtsbücher voll geschrieben.

Erinnern und Gedenken geht nicht ohne warnen. Selbst wenn dieses Land vielleicht nicht das Paradies ist und viele von uns gern ganz viele Dinge anders haben wollen, wir alle haben trotzdem eine Menge zu verlieren.  
Freiheit und Demokratie kamen nicht von Himmel gefallen. Es sind seltsam gefühlige Pflänzchen die jeden Tag aufs neue Betreuung und Aufmerksamkeit brauchen. Deutlich zeigt das das derzeitige Europa. Statistisch gesehen leben wir in einer der besten Zeiten, die es je gegeben hat und trotzdem sieht mensch überall das alte Monster von Nationalismus und Abschottung wachsen.                                                                                        
Der Glaube in Medien, Politiker und Politik hat gelitten, viele glauben alles, Hauptsache, es ist anders und die Schuldigen sind andere. Ich brauche Euch nicht zu erzählen, welche Parteien mensch besser nicht wählen sollte. Deshalb lasst uns die Alternative aus Bad Belzig sein, die Alternative zum schwarz-weißen oder blauen Denken. Versuchen wir es mit buntem Denken, um buntes Leben für unsere Enkelkinder zu schützen. Ich bin trotz allem ziemlich hoffnungsvoll. Ich glaube wir sind bunt und stark genug um wachsenden ungesunden Nationalismus zu überleben, wenn wir nicht in unserer eigenen Blase hängen bleiben. Auch meine Familie in Israel akzeptiert mittlerweile, dass ich in Deutschland wohne. Das war mal anders und mein Sandkastencousin fängt sogar an über seine Armeezeit nachzudenken. Und der Kommandant der jordanischen Migs, damals über unserem kibbuz. Seinen Sohn lernte ich als Friedensoldat in Koatien kennen und seinen Vater habe ich besucht.

Ja und die Mütze hat irgendwann mal meine Kippa ersetz... In die Sinne Sjalom, Salam, Friede mit Euch....


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