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Solidarität statt Gesetz des Stärkeren

Wie geht es in und um Griechenland weiter / Von Helmuth Markov, Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg

Solidarität statt Gesetz des Stärkeren

Wie geht es in und um Griechenland weiter / Von Helmuth Markov, Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg

Einhundert Tage werden einer neuen Regierung in der Regel zugestanden, um sich einzuarbeiten. Der neuen griechischen Regierung unter Alexis Tsipras hat man diese Schonfrist nicht gegönnt. Die Bewertungen ihrer Arbeit in manchen deutschen Gazetten waren an Ignoranz, Arroganz und Häme kaum zu überbieten.

Richtig ist: Der große Befreiungsschlag ist der griechischen Regierung in den ersten Monaten nicht gelungen. Wie auch in einhundert Tagen? Aber zumindest eines ist der Syriza-Regierung gelungen: Sie hat gezeigt, dass es auch anders gehen könnte. Die Griechen haben ein neues Denkmodell in die Debatte gebracht. Ihr Modell ist das der Solidarität der europäischen Völker untereinander und nicht das Modell vom Gesetz des Stärkeren.

Die Griechen haben versucht, mit den europäischen Nachbarn als Partner zu reden. Ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Das war von den anderen Euro-Ländern nicht gewollt. Sie sahen in Griechenland keinen Partner, sondern einen Schuldner. Damit wurde eine Chance verpasst. Die Chance, endlich ohne Scheuklappen über die Auswirkungen einer bislang katastrophalen Sparpolitik zu sprechen. Die Chance, Alternativen zumindest abzuwägen.

Wäre es beispielsweise nicht ökonomisch viel sinnvoller, die Laufzeiten bestehender Kredite zu verlängern und Griechenland günstigere Zinsen einzuräumen? Wäre es so abwegig, über eine Streckung der Schulden nachzudenken? Auch die Bundesrepublik Deutschland hat einst von der Großzügigkeit ausländischer Gläubiger im Rahmen des Londoner Schuldenabkommens profitiert. So wurde die letzte Tranche der so genannten Young-Anleihe von Deutschland erst im Oktober 2010 zurückgezahlt – nach 82 (!) Jahren.

Oder wäre es nicht nachhaltiger, dem exportschwachen Griechenland zu helfen, indem man die Binnennachfrage stärkt? Könnte nicht die EU auf die Kofinanzierung von europäischen Projekten in Griechenland verzichten und so einen direkten Beitrag zum Aufbau der griechischen Wirtschaft leisten? Könnten nicht Auslandskonten reicher Griechen gesperrt und Griechenland ganz praktisch beim Aufbau einer effektiven Steuerverwaltung geholfen werden?

All das wird nicht diskutiert, nicht einmal erwogen. Vielmehr erweckt es den Anschein, als sei es politisches Kalkül, dafür zu sorgen, die Syriza-Regierung am Ende politisch komplett scheitern zu lassen. Nur so kann man schließlich auch in anderen Krisenländern den Eindruck vermeiden, eine linke Regierung könne einen alternativen Weg einschlagen.

Aber welche Engstirnigkeit verbirgt sich hinter solchen Ideen? Die Eurokrise ist keine Krise Griechenlands allein. Europa als Ganzes steckt in der Krise. Der Erfolg von Syriza ist ein Ergebnis dieser Krise. Der Vertrauensverlust in europäische Politik ist ein Ergebnis dieser Krise. Und auch das Erstarken antieuropäischer Bewegungen in ganz Europa ist ein Ergebnis dieser Krise.

Über den richtigen Weg aus der Krise muss gestritten werden. Mit Griechenland genauso wie mit Großbritannien, Portugal oder Deutschland. Um das eigentliche Thema, wie eine gesunde Krisenpolitik aussehen kann, die wettbewerbstüchtig macht und gleichzeitig sozial verträglich bleibt, geht es aber schon lange nicht mehr.

Dabei wäre es endlich an der Zeit, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU grundsätzlich zu überdenken und zu korrigieren. Ein gemeinsamer Binnenmarkt mit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Dienstleistern macht auch gemeinsame Standards und Regelungen im sozialen Bereich nötig. Europa braucht nicht nur gemeinsame Freiheiten, es braucht auch gemeinsame Regeln, damit bestimmte Regionen der EU ökonomisch und sozial nicht abgehängt werden.

Europa ist mehr als ein gemeinsamer Wirtschaftsraum. Wir sind auch eine Wertegemeinschaft, eine Solidargemeinschaft. Daher gilt es jetzt, die soziale Dimension neu auszurichten, Löhnen und Sozialleistungen wieder eine entscheidende Rolle für die nationale Wettbewerbsfähigkeit zuzuschreiben. Es kann doch nicht sein, dass ein dreiprozentiges Budgetdefizit milliardenschwere Sanktionen auslösen kann, mehr als 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit hingegen ohne Folgen bleiben.

Das ist der Kern der europäischen Krise: Zurzeit ist die EU ein Projekt von Banken, Unternehmen und Politikern. Sie muss aber ein Projekt der Menschen werden. Die Europäische Union wird nur dann wieder an Attraktivität gewinnen, wenn nicht Spardiktate sie dominieren, sondern Demokratie und soziale Gerechtigkeit.